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Ödön von Horváth


Ein kleiner Totentanz.


Die junge Elisabeth ist in einen finanziellen Teufelskreis geraten: Ohne den fehlenden Wandergewerbeschein darf sie nicht legal arbeiten, ohne legale Arbeit fehlen ihr die monetären Mittel, um die ihr verhängte Vorstrafe abzubezahlen. In dieser prekären Situation hilft ihr ein gerührter Präparator des Anatomischen Instituts, bei welchem Elisabeth zunächst ihren Leichnam verkaufen möchte. Doch die anfängliche Großzügigkeit kehrt sich in aller Härte gegen die grundoptimistische Frau und bringt sie schließlich in die Vollzugsanstalt.

Auch die schon sicher geglaubte Liebe schlägt in Gestalt des Polizisten Alfons Klostermeyer umbarmherzig zu, so daß Elisabeth den Glauben an sich und das Gute im Menschen verliert und schließlich der Freitod als einziger Ausweg erscheint.

Horváths Werk ist eine Analyse über die menschlichen Sehnsüchte in unsicheren Zeiten, in welchen Glaube, Liebe und Hoffnung angesichts der gesellschaftlichen Umstände zum Scheitern verurteilt sind.

Der "kleine Totentanz in fünf Bildern", den der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth im Jahr 1932 verfaßte, geht auf eine Zeitungsnotiz und somit auf eine wahre Begebenheit zurück. Der Titel aus dem bekannten Paulusbrief [1. Korintherbrief, Kap. 13, Vers 13] nimmt auf die drei christlichen Tugenden Bezug. Horváths politische Parabeln, die sich konkret gegen die soziale Ungerechtigkeit seiner Zeit richteten und im Dritten Reich schnell auf dem Index landeten, führen die Kritik an der Entsolidarisierung der Gesellschaft mit dem Einzelnen, zwischen Realismus und Illusionsbruch bis zur Groteske aus. Horváth vermischt zu diesem Zweck die dialektgefärbte Umgangssprache des Proletariats mit den Banalitäten und Floskeln der höheren Gesellschaft.

Monika Hess-Zanger nimmt sich zur Spielzeiteröffnung mit GLAUBE LIEBE HOFFNUNG nach KLEINER MANN, WAS NUN? zum zweiten Mal den sozialen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise an. Damit stellt sie die menschlichen Tugenden in Zeiten von Globalisierung und verschärften Arbeitsmarktbedingungen durch die Finanzkrise wieder neu zur Diskussion und führt Horváths "Demaskierung des Bewußtseins" in aktueller Zeitkritik weiter fort.


Inszenierung | Monika Hess-Zanger
Ausstattung |
Petra Buchholz

Mitwirkende | Mara S. P. Stroot [ELISABETH] | Konrad Haller [Ein Schupo] | Florian Bender [Oberpräparator / Tierpfleger / MARIA / Ein Kamerad] | Heiko Grosche [Präparator / Er selbst, der Herr Amtsgerichtsrat / Ein Invalider ] | Sven Heiß [Vizepräparator / Ein hochgewachsener Herr / Ein Buchhalter / Ein Kriminaler] | Hanni-Isabell Schuster [JOACHIM, der tollkühne Lebensretter] | Jens Ulrich Seffen [Der Baron mit dem Trauerflor / Frau Amtsgerichtsrat / Ein dritter Schupo] | Sabrina vor der Sielhorst [IRENE PRANTL / Eine Arbeiterfrau / Ein weiblicher Schupo] |

Wiederaufnahme | ab Dezember 2011
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PRESSESTIMMEN

Elisabeth, die eigentlich nur arbeiten will, gerät durch die schlichte Tatsache, daß sie ein einziges Mal die gesetzlichen Vorgaben übertritt, indem sie ohne Gewerbeschein arbeitet, in eine gesellschaftliche Tretmühle, die sie wie ein Strudel in den Abgrund hineinzieht. Man kann das durchaus mit unserer Zeit vergleichen. Wer einmal aus dem beruflichen Leben ausgeschieden ist, hat kaum Chancen wieder Tritt zu fassen. Heute ist man allerdings zumeist so abgesichert, daß man kaum verhungert. Mehr ist allerdings auch nicht drin. Der Umgang mit den Gestrandeten unserer Gesellschaft ist nicht viel anders als vor 90 Jahren. Monika Hess-Zanger nimmt Horváth beim Wort, denn es ist die Sprache, die diesen Autoren ausmacht. Und auch die Darsteller gehen mit dieser Sprache exakt um. Die Katastrophe entsteht aus Kleinigkeiten und die skurrile Komik, die das Stück prägt, kommt wunderbar über die Rampe. Man muß sich immer fragen: "Wo kommen an so einem kleinen Theater so gute Schauspieler her?" Das ganze Ensemble ist ausgezeichnet. Besonders aber das neue Mitglied Maria S. P. Stroot als Elisabeth bietet einen starken Rollenaufbau, vom kleinen Unglück bis zum hoch intensiven Zusammenbruch und Tod. Konrad Haller spielt den Schupo als durchaus liebenden, aber im Endeffekt feigen Beamten. Alle anderen spielen mehrere Rollen, hier muß vor allem Jens Ulrich Seffen genannt werden, der eine wirklich tolle Frau Amtsgerichtsrat spielt. Eine Charge ohne irgendwelche Peinlichkeiten, wunderbar herausgearbeitet. Florian Bender darf gleich in vier Rollen glänzen. Hier ist sicher die beste Charge die des Tierpflegers, er überzeugt aber auch in den anderen dreien. Heiko Grosche spielt den Präparator als linkisch fieses Subjekt und den nichts aus der Ruhe zu bringenden Amtgerichtsrat, dem eigentlich egal ist, wen er gerade verurteilt hat und welche Strafe er verhängt hat. Sabrina vor der Sielhorst ist als Chefin, Frau Prantl, eine aalglatte Unternehmerin und Sven Heiß setzt seine Aufgaben als Vizepräparator und Krimineller auch zur vollsten Zufriedenheit um. Ein tolles Ensemble und eine sehr geradlinige Umsetzung, die sich vor allem auf die Personenführung konzentriert, begeistern auch das Publikum, das begeisternden Applaus spendete. Womit elegant bewiesen wäre, daß die Themen des letzten Jahrhunderts und des jetzigen nicht wirklich auseinander driften. 

Theater Pur, 11.2010



Monika Hess-Zanger inszeniert die Sozialkritik nicht ohne Humor, mit tollen Schauspielern und in spartanischer Kulisse. Die Wände des Theaters sind so grau wie die Gesichter der Protagonisten die gesamte Spielzeit über totenbleich geschminkt sind. Nur eine hebt sich in dieser Seelenlosigkeit ab: Elisabeth. Schauspielerin Mara S. P. Stroot füllt ihre Rolle überzeugend aus. Hübsch, bis zum Schluß in leuchtendes Rot gekleidet (Ausstattung: Petra Buchholz), trotzt sie der Kälte der Gesellschaft und der Paragraphenreiterei. Ihre Freude über einen Strauß Blumen überstrahlt alles. Am Anfang noch kann der Zuschauer über manch hübschen Einfall in diesem latenten Bürgerkrieg lachen - über Jens Ulrich Seffen als Frau Amtsgerichtsrat, die mit Großmutterhut auf dem Kopf Dessous verkauft, über Florian Bender in Netzstrümpfen oder die Präparatoren, die sich gegenseitig den Rang ablaufen. Bis Elisabeth nach dem finalen Schlag den Mut verliert und sich aus dem Leben verabschiedet.

Die Glocke, 20.9.2010



Ödön von Horváths GLAUBE LIEBE HOFFNUNG entpuppt sich in Münsters Wolfgang-Borchert-Theater als kurzweiliger, ja heiterer Theaterabend - der stets den Ernst des Stoffes durchscheinen läßt. Regisseurin Monika Hess-Zanger hat aus Horváths "kleinem Totentanz in fünf Bildern" einen skurrilen Reigen unseliger Geister gemacht, der die zentrale Figur der Elisabeth umschwirrt. Mara S. P. Stroot in der Hauptrolle hebt sich nicht nur durch ihr rotes Kostüm deutlich von den Mitspielern ab, sondern vor allem durch die Tatsache, daß sie allein eine Figur zeichnen darf, mit der der Zuschauer liebt und leidet. Alle anderen Figuren, von einem siebenköpfigen Ensemble mit großer Lust an der Karikatur in einer Vielzahl von Rollen verkörpert, sind teils schwache oder fiese Charaktere wie der charakterlich instabile Polizist des Konrad Haller oder die egozentrische Arbeitgeberin der Sabrina vor der Sielhorst, teils Witzfiguren wie Florian Bender als Tierpfleger oder Jens Ulrich Seffen als Frau Amtsgerichtsrat. Wunderbar widerlich ist Heiko Grosche, der nicht nur als verblendeter Präparator die arme Elisabeth vor Gericht bringt, sondern auch den Amtsgerichtsrat spielt, der sie zur Gefängnisstrafe verurteilt. Sven Heiß und Hanni-Isabell Schuster komplettieren eine Gesellschaft, die zwar noch einen Rettungsversuch für die Gescheiterte unternimmt, nach deren Tod aber flott in den Alltag zurückkehrt. Der helle Bühnenraum von Petra Buchholz umgibt Elisabeth wie eine klinisch-kühle Kammer, in der sie ihren Glauben an die Menschlichkeit, ihre Hoffnung und ihre Liebe ausblutet. Monika Hess-Zanger inszeniert das in bewegten Gruppenbildern, die sich durch ihren karikierenden Witz vom Pathos der Schlußszene abheben. Überzeugend.

Westfälische Nachrichten, 20.9.2010

 

Als "kleinen Totentanz" bezeichnet Ödon von Horváth sein 1932 entstandenes Drama GLAUBE LIEBE HOFFNUNG. Wohl deshalb, weil darin alles stirbt, der Glaube, die Liebe, die Hoffnung – und am Ende auch die Heldin. Monika Hess-Zanger hat das von bitterem Humor getragene Stück mit feinem Gespür für Zwischentöne und einem hervorragend agierenden Ensemble auf die Bühne des Borchert-Theaters in Münster gebracht. Sie legt die Inszenierung in weiten Teilen als eine Art Revue an, um sie am Ende umso erbarmungsloser in die Tragödie zu steuern. In lakonischen 75 Minuten wird demonstriert, wie eine junge Frau an der Selbstbezogenheit ihrer Mitmenschen scheitert. Werte wie Humanität und Solidarität befinden sich in konsequentem Niedergang, zu dem Leonard Cohen den Dreivierteltakt vorgibt. Mara S. P. Stroot in der Rolle der Elisabeth ist eine zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her gerissene junge Frau, die auch mal laut wird, wenn das Schicksal zu hart auf sie einhämmert. Heiko Grosche als Präparator gefällt sich als Menschenfreund, als er ihr das Geld für den Gewerbeschein gibt, verrät sie dann aber, als er erfährt, daß sie es verwendet hat, um eine frühere Strafe zu bezahlen – seiner "inneren Sicherheit als Mensch" wegen, wie er erklärt. Konrad Haller als pflichtbewußter Polizist verliebt sich in Elisabeth und will sie heiraten, weil er "eine Frau höher einschätzt, die von ihm abhängig ist". Noch höher schätzt er dann aber seine Karriere ein und läßt seine Verlobte fallen, als ihre Vorstrafe ruchbar wird. Ähnlich heuchlerisch verhält sich das zahlreiche Restpersonal – angefangen bei der Arbeitgeberin, die Elisabeth rausschmeißt, als sie nicht die gewünschte Leistung bringt, bis hin zur Frau des Richters, die ihr rät, die Verhandlung nicht durch "unnötige Verteidigung" in die Länge zu ziehen. Eine rundum gelungene Inszenierung, die Horváth ins Heute holt.

Münstersche Zeitung, 20.9.2010