Roland Schimmelpfennig
Schauspiel.
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Die Lebenslinien einander fremder, grundverschiedener Menschen kreuzen sich zufällig in einem asiatischen Fast-Food-Restaurant. Im sogenannten "Goldenen Drachen", der im Erdgeschoß eines mehrstöckigen Mietshauses liegt, geht es unterdessen hektisch zu: Fünf Köche bereiten in der engen Küche ohne Unterlaß Essen zu, wenn sie nicht gerade ihrem chinesischen Kollegen einen kariösen Zahn mit der Kneifzange ziehen müssen. Der junge Patient hat keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auf der Suche nach seiner vermißten Schwester. Kurz darauf vermißt er auch seinen Zahn. Eine Etage tiefer streitet ein Ehepaar. Daran ist der benachbarte Lebensmittelhändler nicht ganz unschuldig. Er geht neuerdings einer lukrativen Nebentätigkeit nach. Zu seinen Kunden gehört auch der alte Mann, der über dem "Goldenen Drachen" wohnt und der gerne wieder jung wäre. Diesen Wunsch kann ihm aber seine Enkelin genauso wenig erfüllen, wie das asiatische Mädchen, das in einer dunklen Kammer gefangen gehalten wird. Eine Stewardeß, stößt in ihrer Thai-Suppe auf etwas, was da nicht hinein gehört und ist sichtlich fasziniert von dieser Entdeckung . . . Umrahmt werden die Lebensgeschichten der Personen von einer Tierfabel: Die Geschichte von der fleißigen Ameise und der lustigen, aber faulen Grille, die im kalten Winter in eine Notsituation gerät und gefühllos von der Ameise ausgebeutet wird, erzählt gleichzeitig eine Metapher von der Brutalität und Willkür unserer globalisierten Zeit.
Die Zufälligkeit, mit der sich die Charaktere nahe kommen, ohne sich wirklich zu begegnen, ihr Schicksal, miteinander über Kontinente verwoben zu sein, sorgt gleichermaßen für schreiende Komik und schwebende Traurigkeit.
Roland Schimmelpfennig ist der zur Zeit meistgespielte Gegenwartsdramatiker Deutschlands. Seine Werke werden in über 40 Ländern aufgeführt. 2010 erhielt er für sein Stück DER GOLDENE DRACHE den Mülheimer Dramatikerpreis. Im selben Jahr wurde er zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Mit poetischer Leichtigkeit blitzt in seinen Dramen Phantastisches, Grauenhaftes und Weltbewegendes mitten im Alltäglichen auf.
Inszenierung & Bühne | Johannes Kaetzler
Kostüme | Heike Engelbert
Mitwirkende | Florian Bender | Saskia Boden | Heiko Grosche | Sven Heiß | Monika Hess-Zanger |
Premiere A | Donnerstag, 12. Januar 2012 | 20 Uhr
Premiere B | Samstag, 14. Januar 2012 | 20 Uhr
WBT_SAAL
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PRESSESTIMMEN
Radio Q, 19.01.2012
Roland Schimmelpfennig, übrigens einer der wohl erfolgreichsten und bekanntesten deutschen Dramatiker unserer Zeit, bricht in seinen Stücken ganz bewußt mit den Erwartungen der Zuschauer. In Anlehnung an Bertolt Brecht, zum Beispiel, will er kein Theater der Illusion erzeugen, sondern er will irritieren, er will provozieren. Und das gelingt ihm im „Goldenen Drachen“, unter anderen über die vielen Brüche, die abrupten Rollenwechsel und die gesprochenen Regieanweisungen, ganz wunderbar. […] Den Theatersaal verlässt man dann eher nachdenklich, aber eben auch um einiges reicher und das liegt nicht zuletzt an der Genialität Schimmelpfennigs, aber eben auch an den wirklich herausragenden Leistungen des Regisseurs und der fünf Darsteller.
Schimmelpfennigs Sozialkritik ist dermaßen überladen, dass sie von Anfang an in grotesken Humor umschlägt. […] Auch im „Goldenen Drachen“ besteht der größte Teil des Textes nicht aus den Dialogen, sondern aus gesprochenen Regieanweisungen. Die Schauspieler sprechen jede „Pause“ zwischen zwei Sätzen laut aus, sie beschreiben ständig die Szenen, die man ohnehin sieht, und sorgen für eine wahnwitzige Verdoppelung des Geschehens. Außerdem spielen die Männer die Frauenrollen, die Alten die Jungen und umgekehrt.
Das klingt völlig verkopft, aber es funktioniert in der Regie von Johannes Kaetzler großartig. Das Stück schnurrt ab wie eine Bachsche Fuge auf dem Cembalo, bei der alle Stimmen makellos ineinander greifen und das Publikum niemals den Faden verliert.
Alle Schauspieler übernehmen mehrere Rollen, in ihrem „Grundzustand“ sind sie aber die fünf gestressten Angestellten des Chinarestaurants, die Katastrophen bewältigen und dabei pausenlos „Gebratene Mie-Nudeln mit Pilzen scharf Nummer 103“ ausliefern müssen. Wie die Steinskulpturen der antiken Laokoon-Gruppe bilden sie ein panisches Knäuel dem Untergang geweihter Menschen. In einer strengen, präzisen Choreografie lösen sich immer wieder die Charaktere der anderen Szenen aus der Gruppe.
Das Überwinden der Alters- und Geschlechtsgrenzen gelingt den Schauspielern mühelos. Man glaubt dem grauhaarigen Heiko Grosche die junge zickige Stewardess und der gestandenen Monika Hess-Zanger die verzweifelte Schwangere und den schmierigen Zuhälter. Florian Bender und Sven Heiß füllen ihre Frauenrollen mit Anmut und Koketterie aus. Und Saskia Boden ist als Kellner mit Zahnschmerzen ein Bild des Jammers. Diesem Kellner gehört der Höhepunkt des Stücks, der Moment, in dem das Räderwerk kurz stillsteht und hinter der abgestumpften Bosheit die Ur-Sehnsucht des Menschen nach Liebe und Geborgenheit aufblitzt. […] Die Fast-Food-Küche, dieses Symbol unseres städtischen Lebens, wird im Borchert zur Chiffre einer kalten, gierigen Welt, die gleichzeitig so banal ist, dass sie kein bisschen tragisch wirkt. Ein rabenschwarzes Stück unbedingt ansehen!
Es beginnt mit einer dramatischen Situation, gibt sich aber sofort als Komödie zu erkennen, das Stück "Der Goldene Drache" von Roland Schimmelpfennig. Zumal Regisseur Johannes Kaetzler im Wolfgang-Borchert-Theater seinem Ensemble ein furioses Tempo verordnet hat: Da rattern die Dialoge so atemberaubend über die Rampe, wie die Bestellungen in der Küche des "Thai-China-Vietnam-Restaurants" eintreffen, und Autor Schimmelpfennig macht sich und dem Publikum einen besonderen Spaß daraus, die Namen der asiatischen Gerichte als Leitmotiv-Stakkato erklingen zu lassen: „Thai-Suppe mit Hühnerfleisch, Zitronengras und Zitronenblättern scharf!“
Das Restaurant und die Wohnungen darüber sind ständig wechselnde Schauplätze einer Handlung, bei der fünf Schauspieler im Handumdrehen die Rollen wechseln: So ist Florian Bender mal ein Greis, mal eine erbarmungswürdige Grille, Monika Hess-Zanger wird von der Enkeltochter zum trunkenen Lebensmittelhändler, und das hinreißend-gelangweilte Stewardessen-Duo Sven Heiß und Heiko Grosche macht sich natürlich auch als asiatisches Koch-Team gut. Männer spielen Frauen, Junge spielen Alte, vom streitenden Paar geht es flugs zur Zahn-Behandlung in der Restaurantküche: "Short Cuts" à la Schimmelpfennig. Und weil das Tempo so hoch ist und die Schauspieler scheinbare Regie-Anweisungen wie "Pause" oder "Ich lache" sprechen müssen, merkt man kaum, mit welch einfachen Mitteln der viel gerühmte Autor seinen komödiantischen Wirbel entfacht.
Dann aber, wenn man nach etwa einer Stunde schon überlegt, ob sich die Effekte nicht irgendwann mal verbrauchen, wendet sich plötzlich das Blatt: Ein Mensch ist im Restaurant gestorben. Und die Schauspielerin Saskia Boden, zuvor noch turbulent zwischen den Clownerien eines gehörnten Ehemannes und dem kreischenden Leiden des Zahnschmerz-Kochs wechselnd, spricht den Monolog des Mannes, der aus der Fremde in ein unbekanntes Land kam und als Toter auf verschlungenen Wegen in die Heimat zurückkehrt.
Es ist ein langer, stiller Moment so bewegend, wie ihn jenseits des Alltags nur das Theater erschaffen kann. […] Die begeisterten Zuschauer haben an einem turbulenten Abend, der jeder Boulevard-Aufführung zur Ehre gereichen würde, zugleich ein ernstes Drama miterlebt.
Westfälische Nachrichten, 14.1.2012
Skurril, witzig, vor allem aber dramatisch sind die Lebensgeschichten, die das Borchert-Ensemble aus dem Schnellimbiss "Goldener Drache" und den benachbarten Wohnungen serviert. Dabei schlüpfen die Schauspieler permanent in andere Rollen. Am drolligsten wirkt die Truppe als hektisch köchelndes Asia-Quintett, das flink über die Bühne tippelt, ständig Bestellungen herunterbetet und sich irgendwie immer am Rande des Abgrunds bewegt. Männer spielen Frauen, Junge mimen Alte und umgekehrt. Regisseur Johannes Kaetzler steckt Monika Hess-Zanger mal in die Rolle der ungewollt schwangeren jungen Frau, mal in die des sturzbetrunkenen Ladenbesitzers. Sie bewältigt das mit Bravour. Auch Heiko Grosche und Sven Heiß scheint der Part der oberflächlichen Stewardessen auf den Leib geschnitten zu sein. Sie sind es übrigens, die aus zehn Kilometern Flughöhe vor Afrika ein Boot mit Flüchtlingen ausmachen. Die Realität lässt grüßen. In einer blitzschnellen Szenenabfolge gibt Schimmelpfennig einen sozialkritischen Einblick in den Alltag der vom Schicksal geplagten Menschen. Verstärkt wird das dadurch, dass die Darsteller auf der schlichten Bühne zwischen Tragik und Komödie pendelnd nicht nur spielen, sondern auch beschreiben, was sie gerade tun. Dieses menschliche Elend unterlegt der Autor noch mit der Fabel von der Ameise (wunderbar: Hess-Zanger) und der Grille (Florian Bender).
Die Glocke, 14.1.2012