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DER SANDMANN

E.T.A. Hoffmann

1 | DER SANDMANN
Schauspiel. In einer Fassung von Luisa Guarro. Aus dem Italienischen von Tanja Weidner.
Premiere | Samstag, 21. August 2021
Vorstellungsdauer | 1 Std. 25 Min.

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© Klaus Lefebvre & Tanja Weidner

Von Kindesbeinen an plagt den Studenten Nathanael eine grausame Vision. Denn als sein Vater bei einem alchemistischen Experiment des Advokaten Coppelius ums Leben kommt, sieht Nathanael in diesem die Gestalt des furchteinflößenden Sandmanns, einer mythischen Figur, von der seine Mutter einst erzählte. Viele Jahre später klopft ein unheimlicher italienscher Brillenverkäufer an die Tür mit Namen Coppola und entfacht die traumatischen Erinnerungen erneut. Darunter leidet auch die Beziehung zu Nathanaels Verlobten Klara, die seine Ängste als kindischen Irrglauben abtut. Während Nathanael an die Grenzen seines Verstandes geführt wird, tritt die wundersame Olimpia in sein Leben – eine Frau, die keine Fragen stellt und ihn stets bewundert. Ist das die Liebe, die sich Nathanael stets erhofft hat …?

Ein Klassiker der düsteren Romantik über die Macht des Unterbewussten und die überaus modernen Ängste vor der kybernetischen Wissenschaft.

Nach ihrer Inszenierung des italienischen Märchens DER KÖNIG LACHT (IL RE RIDE) kehrt die neapolitanische Autorin und Regisseurin Luisa Guarro gemeinsam mit dem Licht-Designer Paco Summonte zurück ans WBT, um E.T.A. Hoffmanns Literaturklassiker aus dem Jahr 1816 in einer eigenen, zeitlosen Version zu inszenieren, dass die Fragen nach Mythos, Wissenschaft, Fortschritt und den Wünschen des menschlichen Miteinanders stellt.

PRESSESTIMMEN:

Dunkle Romantik und das grelle Licht der Aufklärung treffen in E. T. A. Hoffmanns Erzählung ‚Der Sandmann‘ aufeinander. Im Wolfgang-Borchert-Theater hat Luisa Guarro daraus einen faszinierenden Abend geschaffen. [...] Im ‚Sandmann‘ steckt vieles drin: Psychologie, Aufklärung versus Romantik und die Hybris einer instrumentalen Vernunft, die Welt nicht nur erklären, sondern auch neu schaffen zu können. Allerdings wird dies bei Hoffmann nie klar diskutiert, sondern in wiederkehrenden Bildern und Motiven angedeutet. Und dem wird Luisa Guarro in ihrer ästhetisch ebenso anspruchsvollen wie ausdrucksstarken Inszenierung gerecht. Was sich auf der in Schwarz gehaltenen Bühne abspielt, mutet über weite Strecken wie ein Traum an. Farbiges Licht, bedrohliche Musik, Schwarzlichttheater und geheimnisvolle Stimmen aus dem Off erzeugen eine schaurig-schöne Stimmung, der man sich nicht entziehen kann. [...] Ebenso überzeugen die Schauspieler. Markus Hennes wechselt als Nathanael gekonnt zwischen Wahn und lichten Momenten – ständig verfolgt von Florian Bender, der als Doppelgänger dessen unterbewusste Ängste symbolisiert. Rosana Cleve verkörpert als Clara eine wohlwollende, letzten Endes aber machtlose Vernunft. Ivana Langmajer bringt als Nathanaels Mutter dämonische und als Olimpia maskenhafte Schönheit ins Spiel.

Ebenfalls in einer Doppelrolle wirkt Jürgen Lorenzen. Als Coppola ist er ein nach außen freundlicher, in Wirklichkeit aber unheilvoller Geselle, während er als von der Regisseurin eingebauter Dr. Freud die Sache psychoanalytisch deutet. In der Rolle des Professors Spalanzani liefert Johannes Langer ein schönes Beispiel für wissenschaftliche Selbstüberschätzung.

Westfälische Nachrichten, 22.8.2021

Nebel, unheimliche Geräusche, ein abgetrennter Kopf, dem die Augen herausoperiert werden – das Publikum im Wolfgang-Borchert-Theater in Münster wähnt sich zeitweise in Frankensteins Gruselkabinett. [...]

Schauspieler Markus Hennes arbeitet sich toll durch das Elend der Hauptfigur, zeigt Nathanael in seiner panischen Angst mal als dümmlich wirkenden Träumer, mal als poetischen Schwärmer, den niemand ernst nimmt, bevor der – nach Kämpfen auch mit seiner nüchtern argumentierenden Freundin Clara (Rosanna Cleve) – allem ein Enden setzt. Vorher aber zieht er den Zuschauer hinab in seinen Alptraum. [...] Subjektives Empfinden gegen nüchterne Erklärung des schwer Fassbaren – die spannende Kombination aus Horror und Psychoanalyse wird allein durch das Tanzen Nathanaels mit seinen Frauen, darunter Ivana Langmajer als Holzpuppe Olimpia, kurz entzerrt.
Die Glocke, 23.8.2021


Unter der Maske des Horrors blitzt Unverarbeitetes hervor: Am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster ist der „Sandmann“ nach E.T.A. Hoffmann zu sehen. Regisseurin Luisa Guarro deutet die Geschichte frei nach Freud. Nathanael, der als Kind erlebte,wie sein Vater bei einem alchiemistischen Experiment umkam, sitzt in einer Anstalt: schwarz, drei Türen, unheimliche Gestalten, die scheinbar unkontrollierbar auftauchen (Guarro hat auch Bühne und Kostüme entworfen). [...] Es erscheinen zwei Nathanaels: Markus Hennes trägt das Stück in langen Monologen, in die er sich mit Verve hineingibt. Er tanzt, flirtet, stürzt von rationalen Phasen in Angstzustände und hebt in Schwärmereien ab. Nathanael leidet nämlich auch an einem schweren Fall von Geniekult: Niemand verstehe ihn. Nathanael Nummer 2 (Florian Bender) steht für ungebändigte Angst: Er trägt nur ein OP-Hemd, spricht kaum, zeigt heftige Tics. Als Leitstern oder Stimme der Vernunft tauchen die Frauen auf, allen voran die engelhafte Clara (Rosana Cleve), die ihm beibringen will, dass der Horror nur in seinem Kopf existiere. Aber auch die Mutter: Sie erzählt dem kleinen Nathanael vom Sandmann, der ihm die Augen ausreiße, wenn er nicht schlafen gehe. Eine Lehrstunde gegen schwarze Pädagogik. Ivana Langmajer spielt auch die Puppe Olimpia – eine starke Leistung.

Luisa Guarro zeigt Nathanael als einen zwanghaft in seinen Vorstellungen Gefangenen. So glaubt er, den Doktor Coppelius, dem er die Schuld am Tod des Vaters gibt, später in dem Tür-zu- Tür-Verkäufer Coppola wiederzuerkennen. Der will ihm „sköne Oke“ (schöne Augen, eigentlich nur Brillen) verkaufen und löst damit einen neuen Angstschub aus. Jürgen Lorenzen gibt mit mildem Lächeln und prüfendem Blick nicht nur Coppelius/Coppola, sondern auch „Dr. Freud“, den Psychiater Nathanaels. Einen Ödipuskomplex hat der arme Nathanael auch, drum greift er der „Mutter“an die nackte Brust. Das Stück hat ein paar Längen. Das wird aufgebrochen mit gutem Theaterzauber und einem schönen Twist am Ende, den Rosana Cleve wunderbar über die Rampe bringt. Die alchemistischen Übungen kommen als magisches Ritual daher. Schön, eine Aufführung zu sehen, die sich nicht mit Corona und Masken auseinandersetzt, sondern gutes Sprechtheater und faszinierende Theatertricks zeigt.
Westfälischer Anzeiger, 24.8.


Der Raum ist dunkel. Schwarze Wände, Metalltüren mit Sichtklappen ringsherum. Luisa Guarro schafft diese düstere Umgebung für ETA Hoffmanns Sandmann. Ein Gefängnis? Wohl eher das, was man im 19. Jahrhundert als „Irrenhaus“ bezeichnet hat. Hierhin hat es Nathanael verschlagen, dessen Ängste ihn immer wieder und immer weiter forttreiben von dem, was man als Realität beschreiben würde.

Diese Ängste hat er schon in seiner Kindheit, als seine Eltern ihn mit der Erzählung vom grausamen Sandmann zu maßregeln versuchten und sie potenzieren sich beim erwachsen Werdenden. Doch wovor fürchtet sich Nathanael wirklich? Sind es die grausamen Alpträume oder doch mehr das stählerne Korsett eines bürgerlichen Lebens, das sich immer drohender und enger um ihn legt und ihn zu ersticken droht? [...]Durch ein Alter Ego für Nathanael verdeutlicht sie dessen Zerrissenheit auch physisch. Florian Bender verkörpert ein Wrack. Die seelischen Wunden zeigen sich in körperlicher Versehrtheit. Auch sonst gelingen Momente voller Hochspannung. Berührend Nathanaels Liebe zum Automaten Olimpia. Guarro schafft es hier, Fragezeichen auf die Bühne zu stellen. In einem Moment ist ganz klar, dass Nathanael weiß, dass Olimpia kein Mensch ist. Er will sie nur, um nicht wirklich kommunizieren, sich auseinandersetzen zu müssen. Und dann gelingt es Markus Hennes als Nathanael, diese ganze schöne und eben erlangte Gewissheit mit einem Augenaufschlag, einem schmachtenden Blick zu zerstören: So sieht doch nur wahre, innige Liebe aus, oder?

Am Ende wird dann doch das „Irrenhaus“ zum Wunschort für Nathanael. Die offene Tür durchschreitet er nicht, will nicht hinaus in eine Welt, die zu viele Fragen an ihn stellt, zu viele Entscheidungen von ihm fordert. Und in der ihm andere Arten von Gefängnissen. Markus Hennes als zutiefst verunsicherter Nathanael führt ein Schauspielensemble an, das ETA Hoffmanns Sandmann facettenreich dem Publikum nahe bringt.Johannes Langer und Jürgen Lorenzen als alptraumhafte Plagegeister treiben Nathanael immer weiter in totale Verunsicherung. Das tut auch glanzvoll Ivana Langmajer als Olimpia und als Mutter, die als erbarmungslose „Schwarze Witwe“ daher kommt. Ebenso erbarmungslos Rosana Cleve als Verlobte Clara. Süß und lieblich in bräutliches Weiß gekleidet, will sie Nathanael in einen Lebensentwurf pressen, der ihr genehm ist. Dem Borchert-Theater gelingt mit „düsterer Romantik“ ein licht-verheißungsvoller Saisonauftakt.
Theater pur, 24.8.


Trailer:


Kostprobe: