WILLKOMMEN
Lutz Hübner & Sarah Nemitz
WILLKOMMEN
Komödie.
Premiere | Samstag, 22. September 2018 | 20 Uhr
Vorstellungsdauer | 1 1/2h | Keine Pause
© Klaus Lefebvre
Beim WG-Abendessen verkündet Benny die Neuigkeit: Er wird für ein Jahr als Dozent in die USA gehen. In dieser Zeit würde er das Zimmer gerne Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Die Fotografin Sophie ist begeistert und plant gleich ein Dokumentarprojekt. Doro, die WG-Älteste, hält nichts von sozialen Experimenten in den eigenen vier Wänden, ihr Bedarf an Kontakt mit fremden Lebenswelten ist gedeckt. Und wenn Jonas den Posten bei der Bank schon sicher hätte, fände er Bennys Idee total gut, aber der Lärm . . . Auch Anna, das Nesthäkchen der WG, hat etwas zu verkünden: Sie ist schwanger und würde gern mit dem Kindsvater zusammenziehen. Als der später vorbeischaut, bekommt die Diskussion eine neue Note – denn der sympathische Sozialarbeiter Achmed äußert sich unverblümt über Araber und Gutmenschen.
WILLKOMMEN – das Stück zur Zeit
Man könnte das pointierte Stück des Erfolgsautorenduos Lutz Hübner und Sarah Nemitz auch „Zimmer frei“ nennen. Dann wäre es freilich nur eine unter vielen „WG-Geschichten“. Doch in WILLKOMMEN geht es zuvorderst um „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen. Die ist, wenn sie praktisch umgesetzt werden soll, anspruchsvoller als wohlfeile Sonntagsreden. Das Borchert-Theater hat mit diesem Stück den passgenauen „Opener“ für die Spielzeit 2018/19 gefunden. Die 90 Minuten haben Drive, liefern Dialogwitz und Nachdenklichkeit. Minutenlanger Stakkato-Applaus.
Regisseur Hartmut Uhlemann hat ein eingespieltes Team aus „WG“-Akteuren zusammengestellt, das sich in einem ansehnlichen Loft (Bühne und Kostüme: Stephanie Kniesbeck) zum „Jour fixe“ versammelt. Benny, der Anglistikdozent, hat eine Uni-Stelle in New York bekommen und will dort bei seinem schwulen Freund einziehen. Sein Zimmer, so der Vorschlag, sollen nun für ein Jahr Flüchtlinge aus Syrien bekommen. Der Krisengipfel am langen Tisch nimmt seinen Lauf und hat Rhythmus. Das liegt nicht nur an den Typen, die hier verhandeln, sondern auch an Sprüchen, die wir alle kennen und die uns zum Teil im Halse steckenbleiben.
Da ist also Doro, die bierdurstige Verwaltungsangestellte, der Monika Hess-Zanger die Radikalität einer Alice Schwarzer verleiht. Auf keinen Fall will sie morgens im Bademantel Macho-Typen aus Arabien begegnen. Jonas, der Spießer in der Runde (Jürgen Lorenzen), ist als Banker auf Probe entschieden unentschieden, fürchtet um seine private Ruhe. Anna (Rosana Cleve in der lustigen Dauerpose einer verklemmten Pädagogik-Problemtante und Veganerin) möchte lieber ihren türkischen Freund und Kindsvater bei sich einziehen lassen. Entschieden „Gutmensch“ ist in dieser Runde zunächst nur Fotografin Sophie (temperamentvoll: Ivana Langmajer), die eine Flüchtlingsaufnahme als lohnendes „Projekt“ für ihre Fotografiererei einstuft. Das Stück geriete mit den zunächst klar verteilten Rollen vermutlich schnell an ein Ende, aber Hübner, Nemitz und Regisseur Uhlemann arbeiten geschickt mit Graustufen. So kümmert sich die erst so schroffe Doro reizend um die schwangere Anna, die wie eine Samariterin daherkommende Sophie ist am Ende auch nur eine verwöhnte Mittdreißigerin, und Benny, der Anglistikdozent (typgenau: Johannes Langer) kommt mit seinem Bi-Status entscheidungsschwach daher, zumal er sich ja durch den Wegzug wohlfeil vor jeder direkten Verantwortung drückt.
Noch eine schwungvolle Charakter-Variante bringt Atilla Oener als Annas Freund Ahmed ins Spiel: „Ich habe nichts gegen Rassisten, ich bin ja auch einer“, lautet einer der im Publikum Heiterkeit und Frösteln auslösenden Sprüche des Machos, der dann wieder Ernstes zur fehlenden Integration seiner türkischen Vorfahren im Pott zu sagen hat.
Das alles wirkt zu keinem Zeitpunkt überdreht, im Gegenteil: Viele Zuschauer erkennen sich und ihre Vorbehalte gegenüber dem und den Fremden wieder. Hier finden sich weder Spießer noch Samariter in Reinkultur. Das macht diese Komödie und Menschenstudie spannend und unterhaltsam. 162 Mal hat das Borchert-Theater die Grundschul-Geschichte FRAU MÜLLER MUSS WEG des Autorenduos geboten. Auch dieses Hübner/Nemitz-Stück hat das Zeug zum Dauerbrenner. Es würde zudem kaum verwundern, wenn es schon bald verfilmt würde.
WILLKOMMEN offenbart bequeme Toleranz (...)
Wer in dem Theaterstück WILLKOMMEN einen politischen Schlagabtausch am WG-Küchentisch erwartet, sieht sich einer etwas anderen Überlegung gegenüber: Ist der Mensch, der das Gute denkt, auch bereit, es in die Tat umzusetzen und seine Komfortzone aufzugeben? (...) Eine witzige Entblößung von Leuten, die nichts gegen Ausländer haben, solange man ihnen nicht zu nahe kommen muss, ist Regisseur Hartmut Uhlemann für das Wolfgang-Borchert-Theater gelungen. Das viel diskutierte Flüchtlingsthema wird so bald zur Nebensache. Die auf einer Story von Lutz Hübner und Sarah Nemitz (FRAU MÜLLER MUSS WEG) basierende Aufführung handelt von der bequemen Toleranz. Die, die vor der eigenen Wohnungstür Halt macht.
Die Charaktere sind sehr genau, mit Humor und einer Portion Spott gezeichnet. Auch WG-Mitglied Sophie (Ivana Langmajer in ihrer ersten Rolle am Borchert-Theater), als Heulsuse mit einem Faible für soziale Projekte belächelt, bekommt ihr Fett weg. Seitenhiebe gibt’s auch in Richtung Ostwestfalen und Münster. Denn Ahmed, der „Kanackenhäuptling von Herne“ (O-Ton Sophie), der dem Stück nach kurzer schwacher Phase auch wieder Biss gibt, nimmt kein Blatt vor den Mund. Aus dem Ruhrpott kommend, hat auch er eine Meinung zu Menschen mit fremden Wurzeln. Und die ist nicht weniger kritisch. Und zu der Stadt, in der er wegen WG-Mitglied Anna das freie Zimmer besetzen möchte. Der Duisburger Atilla Oener, auch ein Neuling Am Borchert-Theater, traut sich was: „Münster ist zwar ein Bisschen...“, deutet er an. „Aber ich pack das schon.“
Aber was sich im einleitenden Geplänkel um die gewünschte Musik zum WG-Abend schon andeutet (...): Es gibt keine einhellige Meinung zum Thema Fremde und Flüchtlinge, es gibt auch nicht nur Schwarz oder Weiß, es gibt diverse Sichtweisen und zu beachtende Aspekte. Und eine WG, ebenso wie die Gesellschaft, muss sich dann eben zusammenraufen und im Diskurs und auch im Streit die bestmögliche Lösung finden. (...)
Um hier nur ein paar Einwände gegen die mögliche Flüchtlingsaufnahme in die WG aufzuführen: Doro hat etwas gegen frauenunterdrückende Muslim-Machos, Jonas braucht Ruhe zur Vorbereitung auf Prüfungen, also bitte keinen Kinderlärm, Anna ist schwanger und möchte das Zimmer gerne für den Vater – falls sie das Kind denn bekommen möchte. Das i-Tüpfelchen der Irrungen und Wirrungen des Abends ist schließlich, dass eben dieser Vater ihres Kindes ein tougher Deutsch-Türke ist (kurzer, aber sehr lebendiger Auftritt von Atilla Oener als Ahmed).
Das sind längst nicht alle Konfliktpotentiale, die den WG-bewohnern an diesem Abend heftigst um die Ohren fliegen, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen, aber es sollte schon so erkenntlich ein: Im Dschungel der Gefühle und Meinungen lässt sich nicht grobschlächtig mit dem Holzhammer agieren und gibt es nicht immer die schnelle einfache Lösung. Subtil dazu wurde von Bühnenbildnerin Stephanie Kniesbeck das einzige Bild im Bühnenaufbau als Tapete eines WG-Zimmers gestaltet: ein Tiger im Dschungel. Die Auflösung des Konfliktes ist so überraschend wie befriedigend, mithin: Sehenswert, voller überraschender Wendungen und politisch unkorrekter Gags!
WILLKOMMEN
Komödie.
Premiere | Samstag, 22. September 2018 | 20 Uhr
Vorstellungsdauer | 1 1/2h | Keine Pause
© Klaus Lefebvre
Beim WG-Abendessen verkündet Benny die Neuigkeit: Er wird für ein Jahr als Dozent in die USA gehen. In dieser Zeit würde er das Zimmer gerne Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Die Fotografin Sophie ist begeistert und plant gleich ein Dokumentarprojekt. Doro, die WG-Älteste, hält nichts von sozialen Experimenten in den eigenen vier Wänden, ihr Bedarf an Kontakt mit fremden Lebenswelten ist gedeckt. Und wenn Jonas den Posten bei der Bank schon sicher hätte, fände er Bennys Idee total gut, aber der Lärm . . . Auch Anna, das Nesthäkchen der WG, hat etwas zu verkünden: Sie ist schwanger und würde gern mit dem Kindsvater zusammenziehen. Als der später vorbeischaut, bekommt die Diskussion eine neue Note – denn der sympathische Sozialarbeiter Achmed äußert sich unverblümt über Araber und Gutmenschen.
Wo verläuft unsere Toleranzgrenze? Wie steht es wirklich um die Bereitschaft, die eigene Komfortzone aufzugeben? Lutz Hübner und Sarah Nemitz holen die Diskussion über die gesellschaftliche Umordnung ins Wohnzimmer der bürgerlichen Mitte.
Hübner & Nemitz beweisen einmal mehr, warum ihre Stücke an deutschsprachigen Theatern seit Jahren einen Spitzenplatz einnehmen. Ihre Figuren sind genau beobachtet, und mit großem Gespür für Komik schaffen sie lebensnahe Figuren, die mehr mit uns gemein haben, als uns lieb ist.
Nach dem großen Erfolg von FRAU MÜLLER MUSS WEG und WUNSCHKINDER das dritte Stück der Autorenduos im WBT. Neben Hartmut Uhlemann, der zuletzt am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg Regie führte, geben mit Ivana Langmajer und Atilla Oener zwei weitere Neue ihr WBT-Debüt.
Inszenierung | Hartmut Uhlemann
Bühne & Kostüme | Stephanie Kniesbeck
Mitwirkende | Rosana Cleve | Monika Hess-Zanger | Johannes Langer | Ivana Langmajer | Jürgen Lorenzen | Atilla Oener
PRESSESTIMMEN:
WILLKOMMEN hat das Potenzial der neue Dauerbrenner im Borchert Theater zu werden: Es trifft die aktuelle, teilweise abstruse Diskussion um den Umgang mit den Migranten auf den Punkt. Hier kann sich jeder, welche Position auch immer er vertritt, wiedererkennen.
Regisseur Hartmut Uhlemann, der zuletzt am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg Regie führte, inszeniert die Geschichte in einer altersgemischten Wohngemeinschaft, was zu spannenden neuen Konstellationen führt. Das Stück spielt im Hier und Jetzt. Die WG lebt in einer mehr als 200 Quadratmeter großen Luxuswohnung inmitten von Münster. Dort gibt es sogar eine Dachterrasse, auf der man sich hüllenlos sonnen kann. Benny, einer der Fünf, arbeitet in der Flüchtlingsunterkunft um die Ecke. Das Publikum hockt gewissermaßen mit am Tisch der Wohngemeinschaft. (...)
(D)ie Verwaltungsangestellte Doro (ein wenig trinkfreudig und mit brutaler Offenheit: Monika Hess-Zanger) erklärt unmissverständlich, dass sie sich ein Zusammenleben mit Arabern, zumal arabischen Machos, nicht vorstellen könne. Sie legt unmittelbar ihr Veto ein. Nichts und niemand solle den Versuch unternehmen, in ihrem privaten Bereich die Regeln des Grundgesetzes, die Errungenschaften des Feminismus und der Popkultur in Frage zu stellen. Sie befürchtet dauerhafte Respektlosigkeit durch Flüchtlinge als Mitbewohner.
Ihr lautstarker Einspruch gegen arabische Männer bedient zugleich alle Klischees und Vorurteile gegenüber Muslimen. Allerdings bekommt sie durch ihre drastischen, nichts destotrotz ironischen Bemerkungen die stille Zustimmung des Publikum. (...) Ein bisschen hat sie mit ihren Ansichten doch wohl Recht, und man darf doch so etwas auch einmal „sagen dürfen“?! Den Autoren Lutz Hübner und Sarah Nemitz gelingt es voller Ironie, die Schwierigkeiten einer offenen Auseinandersetzung über das Thema Flüchtlinge aufzuzeigen. Sie ist ein mühevoller Prozess. Und jeder im Publikum wird sich an der ein oder anderen Stelle wiedererkennen und zugleich ertappt fühlen.
Ab da überschlagen sich die Einsprüche und Erwiderungen derart schnell und voller Pointen, dass man als Zuschauer und Beteiligter am Esstisch der WG permanent geistige Purzelbäume schlagen muss. Kaum hat man sich auf die Seite geschlagen, übertölpelt einen auch schon der nächste. Schnell werden eigene Vorurteile deutlich und als offen oder versteckt rassistisch entlarvt.
Schließlich bekommt auch jeder der Anwesenden sein Fett weg. Die Diskussion wird zum irrwitzigen Seelenstriptease. Eine delikate Information nach der anderen und manches intime Geständnis werden „veröffentlicht“. Manches geht unter die Gürtellinie – gewürzt mit wunderbaren Pointen. Aber Lutz Hübner und Sarah Nemitz machen keine Pointen zu Lasten ihrer Figuren – eher bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken.
Die Fotografin Sophie (eine auf Highheels daher stolzierende, kühle, mondäne Blondine: Ivana Langmajer) outet sich als Idealistin und bekennender „Gutmensch“. Sie ist als Hauptmieterin mit dem Hilfsangebot an Flüchtlinge einverstanden, wittert sie zugleich ein mögliches Kunst-Projekt, mit dem sie vielleicht einmal groß rauskommen kann. Entgegen allen Vorbehalten der Anderen unterstützt sie Bennys Vorschlag. Auf dem Höhepunkt der Diskussion schmeißt sie genervt ihre Mitbewohner aus der Luxuswohnung und kündigt ihnen den Mietvertrag, um dann aber von ihrem Vater, den sie hilfesuchend anruft, zu erfahren, dass er ihr als Finanzier der Wohnung schlankweg verbietet, sich als „Mutter Theresa der Flüchtlinge“ zu gebärden.
Die Diskussion um Flüchtlingen wird turbulent, nachdem Anna (ein bisschen langweilig, unentschieden und darüber hinaus auch noch eine bekennende Veganerin: Rosana Cleve), das wortkarge Nesthäkchen der WG, ihren Mitbewohner gesteht, dass sie schwanger ist und zwar von einem durchaus witzigen und sehr wortgewandten Deutschtürken aus Herne. Achmed (powervoll, mit großer körperlichen Präsenz und mit köstlichen Bemerkungen: Atilla Oener) ist dort als Sozialarbeiter in einer Fahrradwerkstatt engagiert. (...)
Als Achmed an dem Abend überraschend zu Besuch kommt, um sich als neuer Partner von Anna vorzustellen, sind die Mitbewohner der WG einerseits fasziniert und andererseits schockiert, weil Achmed bei allem Charme so viele rechte Ressentiments gegenüber Flüchtlingen artikuliert, dass einem die Ohren klingeln.
Nach dem großen Erfolg von FRAU MÜLLER MUSS WEG und WUNSCHKINDER das dritte Stück der Autorenduos im WBT. Neben Hartmut Uhlemann, der zuletzt am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg Regie führte, geben mit Ivana Langmajer und Atilla Oener zwei weitere Neue ihr WBT-Debüt.
Inszenierung | Hartmut Uhlemann
Bühne & Kostüme | Stephanie Kniesbeck
Mitwirkende | Rosana Cleve | Monika Hess-Zanger | Johannes Langer | Ivana Langmajer | Jürgen Lorenzen | Atilla Oener
PRESSESTIMMEN:
WILLKOMMEN hat das Potenzial der neue Dauerbrenner im Borchert Theater zu werden: Es trifft die aktuelle, teilweise abstruse Diskussion um den Umgang mit den Migranten auf den Punkt. Hier kann sich jeder, welche Position auch immer er vertritt, wiedererkennen.
Regisseur Hartmut Uhlemann, der zuletzt am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg Regie führte, inszeniert die Geschichte in einer altersgemischten Wohngemeinschaft, was zu spannenden neuen Konstellationen führt. Das Stück spielt im Hier und Jetzt. Die WG lebt in einer mehr als 200 Quadratmeter großen Luxuswohnung inmitten von Münster. Dort gibt es sogar eine Dachterrasse, auf der man sich hüllenlos sonnen kann. Benny, einer der Fünf, arbeitet in der Flüchtlingsunterkunft um die Ecke. Das Publikum hockt gewissermaßen mit am Tisch der Wohngemeinschaft. (...)
(D)ie Verwaltungsangestellte Doro (ein wenig trinkfreudig und mit brutaler Offenheit: Monika Hess-Zanger) erklärt unmissverständlich, dass sie sich ein Zusammenleben mit Arabern, zumal arabischen Machos, nicht vorstellen könne. Sie legt unmittelbar ihr Veto ein. Nichts und niemand solle den Versuch unternehmen, in ihrem privaten Bereich die Regeln des Grundgesetzes, die Errungenschaften des Feminismus und der Popkultur in Frage zu stellen. Sie befürchtet dauerhafte Respektlosigkeit durch Flüchtlinge als Mitbewohner.
Ihr lautstarker Einspruch gegen arabische Männer bedient zugleich alle Klischees und Vorurteile gegenüber Muslimen. Allerdings bekommt sie durch ihre drastischen, nichts destotrotz ironischen Bemerkungen die stille Zustimmung des Publikum. (...) Ein bisschen hat sie mit ihren Ansichten doch wohl Recht, und man darf doch so etwas auch einmal „sagen dürfen“?! Den Autoren Lutz Hübner und Sarah Nemitz gelingt es voller Ironie, die Schwierigkeiten einer offenen Auseinandersetzung über das Thema Flüchtlinge aufzuzeigen. Sie ist ein mühevoller Prozess. Und jeder im Publikum wird sich an der ein oder anderen Stelle wiedererkennen und zugleich ertappt fühlen.
Ab da überschlagen sich die Einsprüche und Erwiderungen derart schnell und voller Pointen, dass man als Zuschauer und Beteiligter am Esstisch der WG permanent geistige Purzelbäume schlagen muss. Kaum hat man sich auf die Seite geschlagen, übertölpelt einen auch schon der nächste. Schnell werden eigene Vorurteile deutlich und als offen oder versteckt rassistisch entlarvt.
Schließlich bekommt auch jeder der Anwesenden sein Fett weg. Die Diskussion wird zum irrwitzigen Seelenstriptease. Eine delikate Information nach der anderen und manches intime Geständnis werden „veröffentlicht“. Manches geht unter die Gürtellinie – gewürzt mit wunderbaren Pointen. Aber Lutz Hübner und Sarah Nemitz machen keine Pointen zu Lasten ihrer Figuren – eher bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken.
Die Fotografin Sophie (eine auf Highheels daher stolzierende, kühle, mondäne Blondine: Ivana Langmajer) outet sich als Idealistin und bekennender „Gutmensch“. Sie ist als Hauptmieterin mit dem Hilfsangebot an Flüchtlinge einverstanden, wittert sie zugleich ein mögliches Kunst-Projekt, mit dem sie vielleicht einmal groß rauskommen kann. Entgegen allen Vorbehalten der Anderen unterstützt sie Bennys Vorschlag. Auf dem Höhepunkt der Diskussion schmeißt sie genervt ihre Mitbewohner aus der Luxuswohnung und kündigt ihnen den Mietvertrag, um dann aber von ihrem Vater, den sie hilfesuchend anruft, zu erfahren, dass er ihr als Finanzier der Wohnung schlankweg verbietet, sich als „Mutter Theresa der Flüchtlinge“ zu gebärden.
Die Diskussion um Flüchtlingen wird turbulent, nachdem Anna (ein bisschen langweilig, unentschieden und darüber hinaus auch noch eine bekennende Veganerin: Rosana Cleve), das wortkarge Nesthäkchen der WG, ihren Mitbewohner gesteht, dass sie schwanger ist und zwar von einem durchaus witzigen und sehr wortgewandten Deutschtürken aus Herne. Achmed (powervoll, mit großer körperlichen Präsenz und mit köstlichen Bemerkungen: Atilla Oener) ist dort als Sozialarbeiter in einer Fahrradwerkstatt engagiert. (...)
Als Achmed an dem Abend überraschend zu Besuch kommt, um sich als neuer Partner von Anna vorzustellen, sind die Mitbewohner der WG einerseits fasziniert und andererseits schockiert, weil Achmed bei allem Charme so viele rechte Ressentiments gegenüber Flüchtlingen artikuliert, dass einem die Ohren klingeln.
Westfalium, 24.9.18
WILLKOMMEN – das Stück zur Zeit
Man könnte das pointierte Stück des Erfolgsautorenduos Lutz Hübner und Sarah Nemitz auch „Zimmer frei“ nennen. Dann wäre es freilich nur eine unter vielen „WG-Geschichten“. Doch in WILLKOMMEN geht es zuvorderst um „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen. Die ist, wenn sie praktisch umgesetzt werden soll, anspruchsvoller als wohlfeile Sonntagsreden. Das Borchert-Theater hat mit diesem Stück den passgenauen „Opener“ für die Spielzeit 2018/19 gefunden. Die 90 Minuten haben Drive, liefern Dialogwitz und Nachdenklichkeit. Minutenlanger Stakkato-Applaus.
Regisseur Hartmut Uhlemann hat ein eingespieltes Team aus „WG“-Akteuren zusammengestellt, das sich in einem ansehnlichen Loft (Bühne und Kostüme: Stephanie Kniesbeck) zum „Jour fixe“ versammelt. Benny, der Anglistikdozent, hat eine Uni-Stelle in New York bekommen und will dort bei seinem schwulen Freund einziehen. Sein Zimmer, so der Vorschlag, sollen nun für ein Jahr Flüchtlinge aus Syrien bekommen. Der Krisengipfel am langen Tisch nimmt seinen Lauf und hat Rhythmus. Das liegt nicht nur an den Typen, die hier verhandeln, sondern auch an Sprüchen, die wir alle kennen und die uns zum Teil im Halse steckenbleiben.
Da ist also Doro, die bierdurstige Verwaltungsangestellte, der Monika Hess-Zanger die Radikalität einer Alice Schwarzer verleiht. Auf keinen Fall will sie morgens im Bademantel Macho-Typen aus Arabien begegnen. Jonas, der Spießer in der Runde (Jürgen Lorenzen), ist als Banker auf Probe entschieden unentschieden, fürchtet um seine private Ruhe. Anna (Rosana Cleve in der lustigen Dauerpose einer verklemmten Pädagogik-Problemtante und Veganerin) möchte lieber ihren türkischen Freund und Kindsvater bei sich einziehen lassen. Entschieden „Gutmensch“ ist in dieser Runde zunächst nur Fotografin Sophie (temperamentvoll: Ivana Langmajer), die eine Flüchtlingsaufnahme als lohnendes „Projekt“ für ihre Fotografiererei einstuft. Das Stück geriete mit den zunächst klar verteilten Rollen vermutlich schnell an ein Ende, aber Hübner, Nemitz und Regisseur Uhlemann arbeiten geschickt mit Graustufen. So kümmert sich die erst so schroffe Doro reizend um die schwangere Anna, die wie eine Samariterin daherkommende Sophie ist am Ende auch nur eine verwöhnte Mittdreißigerin, und Benny, der Anglistikdozent (typgenau: Johannes Langer) kommt mit seinem Bi-Status entscheidungsschwach daher, zumal er sich ja durch den Wegzug wohlfeil vor jeder direkten Verantwortung drückt.
Noch eine schwungvolle Charakter-Variante bringt Atilla Oener als Annas Freund Ahmed ins Spiel: „Ich habe nichts gegen Rassisten, ich bin ja auch einer“, lautet einer der im Publikum Heiterkeit und Frösteln auslösenden Sprüche des Machos, der dann wieder Ernstes zur fehlenden Integration seiner türkischen Vorfahren im Pott zu sagen hat.
Das alles wirkt zu keinem Zeitpunkt überdreht, im Gegenteil: Viele Zuschauer erkennen sich und ihre Vorbehalte gegenüber dem und den Fremden wieder. Hier finden sich weder Spießer noch Samariter in Reinkultur. Das macht diese Komödie und Menschenstudie spannend und unterhaltsam. 162 Mal hat das Borchert-Theater die Grundschul-Geschichte FRAU MÜLLER MUSS WEG des Autorenduos geboten. Auch dieses Hübner/Nemitz-Stück hat das Zeug zum Dauerbrenner. Es würde zudem kaum verwundern, wenn es schon bald verfilmt würde.
WN, 23.9.18
WILLKOMMEN offenbart bequeme Toleranz (...)
Wer in dem Theaterstück WILLKOMMEN einen politischen Schlagabtausch am WG-Küchentisch erwartet, sieht sich einer etwas anderen Überlegung gegenüber: Ist der Mensch, der das Gute denkt, auch bereit, es in die Tat umzusetzen und seine Komfortzone aufzugeben? (...) Eine witzige Entblößung von Leuten, die nichts gegen Ausländer haben, solange man ihnen nicht zu nahe kommen muss, ist Regisseur Hartmut Uhlemann für das Wolfgang-Borchert-Theater gelungen. Das viel diskutierte Flüchtlingsthema wird so bald zur Nebensache. Die auf einer Story von Lutz Hübner und Sarah Nemitz (FRAU MÜLLER MUSS WEG) basierende Aufführung handelt von der bequemen Toleranz. Die, die vor der eigenen Wohnungstür Halt macht.
Die Charaktere sind sehr genau, mit Humor und einer Portion Spott gezeichnet. Auch WG-Mitglied Sophie (Ivana Langmajer in ihrer ersten Rolle am Borchert-Theater), als Heulsuse mit einem Faible für soziale Projekte belächelt, bekommt ihr Fett weg. Seitenhiebe gibt’s auch in Richtung Ostwestfalen und Münster. Denn Ahmed, der „Kanackenhäuptling von Herne“ (O-Ton Sophie), der dem Stück nach kurzer schwacher Phase auch wieder Biss gibt, nimmt kein Blatt vor den Mund. Aus dem Ruhrpott kommend, hat auch er eine Meinung zu Menschen mit fremden Wurzeln. Und die ist nicht weniger kritisch. Und zu der Stadt, in der er wegen WG-Mitglied Anna das freie Zimmer besetzen möchte. Der Duisburger Atilla Oener, auch ein Neuling Am Borchert-Theater, traut sich was: „Münster ist zwar ein Bisschen...“, deutet er an. „Aber ich pack das schon.“
Die Glocke, 24.9.18
Aber von vorne: WILLKOMMEN vom Autorenduo Lutz Hübner und Sarah Nemitz präsentiert in der Inszenierung von Hartmut Uhlemann eine sehr geräumige WG – allerdings keine normale WG, wie man sie sich in der Studentenstadt Münster vorstellt, sondern eine Wohngemeinschaft sehr unterschiedlicher Menschen in verschiedensten Lebensphasen: Sophie, Hauptmieterin und Fotografin (Ivana Langmajer in ihrem WBT-Debüt sehr präsent und variabel), Doro Verwaltungsangestellt (Monika Hess-Zanger), Anna, Studentin der Sozialpädagogik (Rosana Cleve), Benny, besagter Anglistikdozent (Johannes Langer) und Jonas, Bankbetriebswirt (Jürgen Lorenzen). Diese WG ist vielmehr ein vielfältiges Abbild unserer Gesellschaft. (...)Aber was sich im einleitenden Geplänkel um die gewünschte Musik zum WG-Abend schon andeutet (...): Es gibt keine einhellige Meinung zum Thema Fremde und Flüchtlinge, es gibt auch nicht nur Schwarz oder Weiß, es gibt diverse Sichtweisen und zu beachtende Aspekte. Und eine WG, ebenso wie die Gesellschaft, muss sich dann eben zusammenraufen und im Diskurs und auch im Streit die bestmögliche Lösung finden. (...)
Um hier nur ein paar Einwände gegen die mögliche Flüchtlingsaufnahme in die WG aufzuführen: Doro hat etwas gegen frauenunterdrückende Muslim-Machos, Jonas braucht Ruhe zur Vorbereitung auf Prüfungen, also bitte keinen Kinderlärm, Anna ist schwanger und möchte das Zimmer gerne für den Vater – falls sie das Kind denn bekommen möchte. Das i-Tüpfelchen der Irrungen und Wirrungen des Abends ist schließlich, dass eben dieser Vater ihres Kindes ein tougher Deutsch-Türke ist (kurzer, aber sehr lebendiger Auftritt von Atilla Oener als Ahmed).
Das sind längst nicht alle Konfliktpotentiale, die den WG-bewohnern an diesem Abend heftigst um die Ohren fliegen, die sie sich gegenseitig an den Kopf werfen, aber es sollte schon so erkenntlich ein: Im Dschungel der Gefühle und Meinungen lässt sich nicht grobschlächtig mit dem Holzhammer agieren und gibt es nicht immer die schnelle einfache Lösung. Subtil dazu wurde von Bühnenbildnerin Stephanie Kniesbeck das einzige Bild im Bühnenaufbau als Tapete eines WG-Zimmers gestaltet: ein Tiger im Dschungel. Die Auflösung des Konfliktes ist so überraschend wie befriedigend, mithin: Sehenswert, voller überraschender Wendungen und politisch unkorrekter Gags!
Ultimo, 13.10.18