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Kartentelefon

Georg Büchner

2 | WOYZECK
Schauspiel. In einer Fassung von Tanja Weidner
Premiere | Donnerstag, 9. September 2021
Vorstellungsdauer | 1h05 | Keine Pause
 
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Fotos (c) Klaus Lefebvre

Franziska, genannt Woyzeck, ist Soldatin von unterstem Rang, niedriger Bildung und miserabler Besoldung. Ihr Umfeld drangsaliert und demütigt sie tagein, tagaus. Der Hauptmann, ihr direkter Vorgesetzter, quält sie nach Belieben. Und dem Dorfarzt stellt Woyzeck sich als Versuchskaninchen für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung, um so nebenbei etwas dazu verdienen zu können. Für alle Welt ist sie nur ein wertloses Geschöpf, das es zu quälen gilt. Mit ihrer großen Liebe Marie hat sie ein uneheliches Kind. Als Marie vom Tambourmajor verführt wird, gerät Woyzeck außer Kontrolle . . .

Ein Klassiker der Literaturgeschichte über die Grausamkeit des Menschen, die brutalsten Facetten der Macht und die Sehnsucht nach Liebe und Akzeptanz.

Georg Büchner hinterließ den Text nach seinem Tod 1837 als Fragment. Erst 1879 wurde es in einer ersten Version publiziert, 1913 folgte die Uraufführung im Residenztheater München. Die Geschichte des Mörders Woyzeck, die auf wahren Begebenheiten basiert, ist bis heute ein beliebter Theaterstoff und wurde unter anderem von Werner Herzog mit Klaus Kinski als Franz Woyzeck erfolgreich verfilmt. Regisseurin Tanja Weidner holt den fast 200 Jahre alten Text nun in die Gegenwart und zeigt, dass die Geschichte um Unterdrückung und Macht nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Inszenierung | Tanja Weidner
Bühne & Kostüme | Annette Wolf
Musikalische Einstudierung & Choreographie | Ivana Langmajer

Mit | Florian Bender
[Hauptmann]Rosana Cleve [Marie] | Erika Jell [Franz Woyzeck] | Ivana Langmajer [Käthe] | Jürgen Lorenzen [Doktor] | Alessandro Scheuerer [Tambourmajor]

Trailer


Digitale Kostprobe


PRESSESTIMMEN

"Woyzeck" zeigt die brutalen Facetten der Mächtigen
Wenn der Arzt, dem sie sich für ein bisschen Geld als wissenschaftliches Versuchsobjekt zur Verfügung stellt, von ihr nur noch als "Es" spricht, erschreckt das selbst den Zuschauer. Vom Menschen Woyzeck, im Borchert-Theater durch Erika Jell dargestellt, ist nichts mehr übrig. Ein sehr berührendes, wenn auch dunkles Schauspiel - nicht zuletzt durch den Neuzugang Jell, deren Auftritt bei der Premiere am Donnerstag mit starkem Applaus quittiert wurde.

[...] Tanja Weidner inszeniert das Stück mit einer Frau, die in die Erzählung genauso passt wie ein Mann. Ob Mann oder Frau - Mensch ist Mensch und der wird in dem Stück übelst gedemütigt, beschimpft und am Ende zerstört.

Die Soldatin ist ihrem Hauptmann (toll: Florian Bender mit dickem Bauch im Militärmantel) und dem Doktor (Jürgen Lorenzen, immer die Nase hoch und das Diktiergerät im Anschlag) zu Diensten, um ein bisschen Geld dazuzuverdienen. Dabei lässt sich Bender, der mit seiner weißen Glatze wie Nosferatu daherkommt, auf der Bühne in Ketten legen und von Erika Jell als Domina bearbeiten. [...]

So wird die Geschichte stringent und sachlich erzählt - auf einer Bühne, auf der sich die Schauspieler kreuz und quer herabhängenden Holzstäben bewegen wie in eiem Mikado-Spiel, das jeden Moment zu Ende sein kann. Die nächste gute Idee: Holzbretter, auf denen Arzt und Hauptmann wie auf Wippen ihre Macht austesten, wobei es durch das Knallen der Bretter auf den Boden mächtig laut wird. Hier entsteht auch einer der rührendsten Momente: Woyzeck hat den Schwergewichten nicht entgegenzusetzen und Erika Jell muss oben vom Brett abspringen.

Alle Schauspieler - Rosana Cleve als Woyzecks Freundin Marie, Ivana Langmajer als Käthe und Neuling Alessandro Scheuerer als Tambourmajor - tragen zum Gelingen des Stücks bei. [...]
[Die Glocke, 11.9.2021]

Was ist der Mensch?“ – so fragt es in großen Lettern über der Bühne. Georg Büchner stellte in seinem legendären Dramenfragment „Woyzeck“ 1836 nicht nur die Frage nach der Conditio humana. Er tat auch das, was moderne Theatermacher gern tun: Er stellte die Systemfrage. Tanja Weidners Bühnen-Fassung, die am Donnerstag erfolgreiche Premiere feierte, machte hier keine Ausnahme. Das Ensemble zeigte eine Handvoll zerzauster Figuren, die sogar in der grausigen Misshandlung des Protagonisten noch verloren wirkten. In einer Inszenierung, die auf moderne Art grell und düster zugleich erschien.

[...] Es ist [...] ein neues Borchert-Gesicht, das an diesem Abend erstmals zu sehen war: Erika Jell. Und sie haucht dem psychisch labilen Underdog oft eine weibliche Seele ein. Eine fragile Frau in Uniform, die zwischen rehhafter Verletzlichkeit und irre funkelndem Kinski-Blick changiert. Eingezwängt zwischen der bigotten Boshaftigkeit, die Florian Bender dem Hauptmann verleiht (die Rasur-Szene mutiert zum bizarren Sadomaso!), und der sinistren Arzt-Aura von Jürgen Lorenzen, der sämtliche „Mad Scientists“ der Filmgeschichte persifliert. Rosana Cleve gibt Marie als zynische Prollschlampe, die der Macho-Hauptmann (ebenfalls ein Neuzugang: Alessandro Scheuerer) nicht lange bitten muss. Ivana Langmajer (Käthe) singt schließlich das düstere Ende vom Lied.

Annette Wolfs Bühne für diese Neuinszenierung im münsterischen Borchert-Theater ist expressionistisch genial. Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind wie windschiefe Schiffsplanken aufgestellt, und die Figuren stehen einander oft wie im Duell auf Bretter-Wippen gegenüber. Dieser „Woyzeck“ zeigt eine Gesellschaft, die auf schwankendem Grund balanciert.
[Westfälische Nachrichten 11.9.2021]

Erika Jell [...] „die Woyzeck“ mit ganz viel Hingabe, lässt uns intensiv teilhaben an der erst materiellen, dann in zunehmendem Maße auch psychischen Dekonstruktion eines menschlichen Lebens. Das ist Erika Jells zutiefst beeindruckendes Debüt am Wolfgang-Borchert-Theater.

Tanja Weidner schafft eine Fassung von Büchners Dramenfragment, die eine gute Stunde dauert. Diese Stunde ist straff und voller Spannung. Denn Weidner konzentriert sich auf auf die Beziehungen Woyzecks zum Doktor, zum Hauptmann und zu Marie. Dadurch bleiben Kargheit und szenischer Charakter erhalten und werden sogar noch gesteigert durch die vorgenommene Verknappung der Handlung.

Wackelig und auf schwankendem Untergrund aufgebaut, sind Woyzecks Anstrengungen, sein Leben menschenwürdig zu gestalten. Das zeigt Annette Wolfs Bühne, die aus hängenden, schwingenden Holzplanken besteht und aus Bierzelttischen, die wie überdimensioniert breite Wippen funktionieren. Das ist gut gedacht und die Wippen taugen auch als Bilder. [...] Insgesamt schafft Wolf aber eine gelungene Szenerie, in der Tanja Weidner die Tragödie stetig und unerbittlich der Kulmination entgegen führen kann. Das tut sie geradezu unaufgeregt durch eine überdeutliche und fast klassisch zu bezeichnende Figurendeutung.

[...] der Tambourmajor, ein testosterongesteuerter Macho, [ist] quasi ein Deckhengst alter Schule, den Alessandro Scheuerer souverän verkörpert. Dass Weidner auch der Marie eher weniger Raum einräumt, erstaunt [...] Rosana Cleve gelingt es dennoch, sanfte Vielschichtigkeit zu etablieren und gegen das ihr verordnete Nutten-Outfit (diese Beschreibung wurde bewusst gewählt) anzuspielen.

Jürgen Lorenzen als Doktor definiert Woyzeck als pures Objekt seiner Versuche, spricht in zunehmenden Maße nur von „Es“, beraubt Sie aller Menschlichkeit - eine schöne aalglatte Darstellung, die Weidner mit Bravour in Szene setzt. Den Hauptmann gibt Florian Bender. Er braucht Woyzeck, um seine eigene gesellschaftliche Stellung zu festigen. Dazu muss er sie demütigen. Weidner zeichnet ihn als im wahrsten Sinne unmenschlichen Cyborg-Krieger.

Woyzeck muss zur Mörderin werden, muss Stimmen hören, die sie dahin treiben. Das zeigt Tanja Weidner in einer konzis-stringenten Fassung von Büchners Woyzeck. Die wird vom Publikum zu Recht gefeiert. [...]

[Theater Pur 12.9.2021]

Tanja Weidner hat den Klassiker als schrilles, existenzialistisches Lehrstück inszeniert: Teilweise ohrenbetäubend laut, grell-bunt und brutal wie ein Fausthieb mitten ins Gesicht. Auf die Frage „Was ist der Mensch“, die wie ein Damoklesschwert über der Bühne schwebt, kann es mit Büchner nur eine Antwort geben: Er ist ein armes, geschundenes Würstchen, dessen Sehnsucht nach Liebe und Akzeptanz unweigerlich zum Scheitern verdammt ist.

Eine Frau spielt im Borchert Theater Münster die Rolle des gesellschaftlichen Außenseiters „Woyzeck“. Das ist überraschend und ungewöhnlich. Es bietet Ansätze für eine neue Lesart des Klassikers. Dabei gibt es noch mehr Ungewöhnliches in der grandiosen Inszenierung und Neubearbeitung von Tanja Weidner. Neben überzeichneten Charakteren und zusätzlichen Figuren, die von – wieder einmal – herausragend agierenden Ensemblemitgliedern verkörpert werden, gibt Erika Jell in der Titelrolle ihr spektakuläres Debüt.

Erika Jell als „Woyzeck“ ist zum niederknien. Von ihr dürfen wir in weiteren Stücken noch einiges erwarten. Sie spielt den Titelhelden als Franziska. Die Rolle der jungen, vergewaltigten und vielfach misshandelten Soldatin, von unterstem Rang, niedriger Bildung und miserabler Besoldung bietet eine große Bandbreite von Gefühlen. Darunter Angst und Schmerz, Sehnsucht nach Liebe und schiere Verzweiflung. Jell bringt sie allesamt mit großer Souveränität und einem breiten Repertoire über die Rampe. Man erlebt mit Erika Jell „seine“ Verletzlichkeit und „seinen“ Schmerz. Vom Leben schier irre geworden, schreit sie sich am Ende die Seele aus dem Leib. Nachdem es keine Zuflucht und keinen sicheren Boden in dieser buchstäblich aus den Fugen geratenen Welt mehr gibt, sind Mord und Selbstmord, Übertötung und Blutrausch das Ende eines scheinbar vorgezeichneten Schicksalsweges.

Bemerkenswert neben den wundervollen Schauspielern, schrillen Kostümen und einer ausdrucksstarken Maske: Das expressionistische Bühnenbild von Annette Wolf. Gespielt wird teilweise auf laut krachenden Wippen, die den Akteuren keinen Halt mehr bieten und die Wände aus beweglichen, an Seilen aufgehängten Holzplanken verwandeln die Szenerie kaum merklich in eine alptraumartige, unwirkliche und unwirtliche Kulisse. [...]

Der Hauptmann (wunderbar schrill und diabolisch: Florian Bender), ihr direkter Vorgesetzter, quält sie nach Belieben. Und dem Dorfarzt (Jürgen Lorenzen) stellt Woyzeck sich als Versuchskaninchen für höchst dubiose wissenschaftliche Experimente zur Verfügung, um so nebenbei etwas dazu verdienen zu können. Für alle Welt ist Franziska nur ein wertloses Geschöpf, das man wie ein seelenloses Tier behandeln kann und dass es zu quälen gilt. Mit ihrer großen Liebe Marie (Rosana Cleve), eine abgerissene Bordsteinschwalbe hat sie ein uneheliches Kind, das lieblos wie ein Tier in einer Transportkiste plärrend und schreiend hin- und hergeschoben wird.

Als Marie vom Tambourmajor (ein weiterer bemerkenswerter Neuzugang im Ensemble des Borchert Theaters: Alessandro Scheuerer) verführt wird, gerät Woyzeck außer Kontrolle. Sie hat ihren einzigen Halt verloren. Franziska ermordet erst Marie und tötet dann in ihrer Verzweiflung und Ausweglosigkeit sich selbst.

Pessimistischer könnte der Blick auf unsere Welt nicht sein. Der Schluss der Tragödie ist eine böse Provokation. Für Tanja Weidner ist das bittere Ende der Tragödie allerdings der Ausgang für eine Hoffnung. Diese gilt es einfach nicht aufzugeben, selbst in einer Welt, die wie in „Woyzeck“ gerade aus den Fugen zu geraten scheint. Möge dieser Impuls beim Publikum Früchte tragen. Sehenswert!
[Westfalium 12.9.2021]